Daher muss in Sachsen de facto eigentlich jede Neuverschuldung über die Ausnahmeregel beschlossen werden. Das bedeutet dann aber auch, dass die aufgenommenen Kredite automatisch der im Grundgesetz vorgeschriebenen Tilgungsverpflichtung unterliegen. Und gerade diesbezüglich ist Sachsen wieder extrem streng: Während das Grundgesetz für die Tilgung lediglich einen angemessenen Zeitraum fordert und damit weite Spielräume lässt, ist in Sachsen eine Tilgung innerhalb von nur acht Jahren vorgesehen – und dieser Zeitraum steht selbstverständlich unverrückbar in der Landesverfassung. Nun müssen die hohen sächsischen Corona-Schulden innerhalb von acht Jahren getilgt werden, und weil 2021 und 2022 davon ausgenommen wurden, sind es sogar ab 2023 nur noch sechs Jahre! Zum Vergleich: Der Bund setzte einfachgesetzlich einen Tilgungszeitraum von 20 Jahren an, das – übrigens schwarz-gelb regierte – Nordrhein-Westfalen genehmigte sich sogar bis zu 50 Jahren!
Andernorts wird zudem die Möglichkeit genutzt, den Haushalt zu bereinigen: Einnahmen und Ausgaben, die als finanzielle Transaktionen die Vermögensposition des Landes nicht ändern, bleiben im Rahmen der Schuldenbremse unberücksichtigt. So werden Privatisierungserlöse nicht als defizitmindernd verbucht, weil ihnen ein Vermögensverlust entgegensteht, während vergebene Darlehen nicht als defiziterhöhend verbucht werden, weil ihnen eine entsprechende Forderung gegenübersteht. Wenn die Landesregierung in Sachsen sich trotz Brandbriefen der Kommunalverbände schon nicht zu einer weiteren kräftigen regulären finanziellen Unterstützung seiner Kommunen durchringen kann, wäre zumindest eine Unterstützung über Darlehen als finanzielle Transaktion möglich. Immerhin könnte diese möglicherweise sogar ohne Verfassungsänderung möglich sein.
Die Schuldenbremse droht die beschriebene destruktive Wirkung zu entfalten.
Betrachtet man alle Ausgestaltungsmerkmale zusammen, zeigt sich also, dass Sachsen im Kreise der Bundesländer bei der Schuldenbremse einen extrem strikten Sonderweg eingeschlagen hat. Dieser Sonderweg hat schon länger zu einer Finanzpolitik geführt, die restriktiver als nötig war. Dennoch wurden die Probleme von der Schönwetterperiode mit hohem Wachstum und sprudelnden Steuerquellen übertüncht. Mit der Coronakrise und der angespannten Finanzlage hat sich dies nun dramatisch geändert, und die Schuldenbremse droht die beschriebene destruktive Wirkung zu entfalten.
Von zentraler Bedeutung wäre […] eine Verlängerung der Tilgungsfrist, dem Beispiel der schwarz-gelben Regierung in NRW folgend am besten auf 50 Jahre.
Dies müsste nicht sein, hätte die sächsische Landespolitik eine weniger restriktive Ausgestaltung der Schuldenbremse gewählt, wie sie in anderen Bundesländern gang und gäbe ist: Mit einer vernünftigen Konjunkturbereinigung müssten weniger Schulden über die Ausnahmeregel aufgenommen werden. Die Tilgung könnte über einen viel längeren Zeitraum als nur acht Jahre gestreckt werden und durch einfache Mehrheitsentscheidung flexibel angepasst werden. Die sächsische Politik kann die drohenden Probleme im Interesse von Bürger*innen und Wirtschaft auch noch abwenden: Vordringlich wäre aktuell eine Aufstockung der Kreditermächtigung für das Sondervermögen, um notwendige Unterstützungsleistungen für die Kommunen zu finanzieren und den Übergang aus der Coronakrise schrittweise auch über das Jahr 2022 hinaus abfedern zu können. Von zentraler Bedeutung wäre dafür eine Verlängerung der Tilgungsfrist, dem Beispiel der schwarz-gelben Regierung in NRW folgend am besten auf 50 Jahre. Gegenwärtig zeichnet sich noch nicht einmal eine verfassungsändernde Mehrheit für solche akuten Notfalloperationen ab. Teile der Regierung wollen die Entwicklung der Finanzlage abwarten und setzen offenbar darauf, dass die akuten Finanzprobleme über eine unerwartet schnelle Konjunkturerholung von alleine gelindert werden. Eine solche Politik ist nicht vorausschauend und verantwortungsvoll, denn sie geht sehenden Auges das Risiko schmerzhafter Kürzungen bei öffentlicher Daseinsvorsorge und Zukunftsinvestitionen ein und droht, die Konjunkturerholung zu dämpfen.
Stattdessen sollte die sächsische Politik schnell wenigstens die erforderlichen Minimalschritte angehen. Eine grundsätzliche Reform müsste darüber hinaus das Zustimmungserfordernis der Zweidrittelmehrheit abschaffen, sämtliche Detailregelungen (Tilgungsfristen, Konjunkturbereinigung) aus der Landesverfassung entfernen und eine vernünftige Konjunkturbereinigung einführen. Damit würde die Schuldenbremse lediglich an die in vielen anderen Bundesländern übliche Ausgestaltung angenähert. Sachsen muss seinen riskanten Sonderweg aufgeben.
Achim Truger